© Michel Cardin
Das Londoner Manuskript
35 Einzelstücke
Teil I
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Auch wenn die beiden Menuette in F-Dur nicht als Menuet I (1 ; S-C 1/8) und Menuet II (2 ; S-C 1/9) bezeichnet sind, lassen sie sich ganz natürlich so miteinander verbinden, dass nach dem zweiten Menuet ein Da Capo des ersten erfolgt. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass sie hier direkt aufeinander folgen. Smith und Crawford verstehen sie als Alternativen zum Menuet in der vorhergehenden
ersten Suite. Das zweite findet sich als einziges Menuet derselben Suite in den Warschauer Manuskripten.
Markus Lutz hat darauf hingewiesen, dass die ersten 15 Takte des ersten Menuets genau denen des Menuets in B-Dur entsprechen, das zur Duo-Suite in g-moll gehört (Beide finden sich nur im Londoner Manuskript). Nach den ersten 15 Takten ist der Verlauf vollkommen anders. Es handelt sich ganz bestimmt um eine Bearbeitung, aber was entstand zuerst: das Solo oder das Duo? Ich wage zu behaupten, dass es sich hier um ein typisches Solowerk handelt. Aber wie oft bei Weiss zeigt sich daran, dass manche Stücke sowohl als Solo- als auch als Ensemblewerk verstanden werden können. Eine solche flexible Handhabung von Musikstücken lässt sich schon bei den frühesten Barocklautenisten erkennen. Nehmen wir als Beispiel Ennemond Gautier mit seinen Stücken wie der Allemande mit dem Titel „Testament de Mézangeau“, die sich auch als Gigue findet, was durch eine einfache Neuordnung des Rhythmus erreicht wurde. Die drei Warschauer Versionen des zweiten Menuets sind für 13-chörige Barocklaute, während die Londoner Version von der Hand des Komponisten für 11-chörige Laute geschrieben wurde. Auch wenn es sich lohnt, einzelne Basstöne von der 13-chörigen Version zu entleihen, sind manche Kadenzen in dem 11-chörigen Beispiel bis in kleinste Einzelheiten besser ausgearbeitet. Kurz vor Ende dieses zweiten Satzes erscheint ein Verzierungszeichen, das ein Gruppetto zu sein scheint. Die Richtigkeit dieser Vermutung zeigt sich an der Leichtigkeit, mit der es von den Fingern geht. An dieser Stelle will ich darauf hinweisen, dass von der Tabulatur und der daraus resultierenden Grifftechnik her darauf geschlossen werden kann, dass Weiss lange, dünne Finger hatte.
Die Gavotte (3 ; S-C 1/10) in F, ein weiterer für die erste Suite in Frage kommender Satz, könnte Teil eines Duos sein.
Zweifel daran sidn aber angebracht, da die Wiederholung desselben Motivs nicht
unbedingt auf eine Lücke in der Melodie oder auf eine fehlende
zweite Stimme hinweisen muss. Beleg dafür sind die zahlreichen
Scarlatti-Sonaten, die genau so aufgebaut sind; Sonaten, die keiner
zusätzlichen Stimmen bedürfen. Tatsächlich scheint das
vorliegende Stück Ergäzungen zu erfordern wegen seiner ihm
eigenen Schlichtheit, worin es aber vielen Stücken im Klavierbüchlein
für Anna Magdalena Bach ähnelt. Wie bei dem vorausgehenden
Menuet II sind die Wiederholungszeichen und der Buchstabe R (=Reprise) sehr deutlich
angezeigt in den letzten drei Takten am Ende des Stückes - Takte
die wie beiläfig klingen, und doch voller Anmut sind. Diese Gavotte
stellt die für Weiss typischen hohen Anforderungen an die linke Hand. Man
könnte sie fast als Legato-Studie mit einer systematisch
antizipatorischen Bewegung des linken Ellbogens bezeichnen.
Die Gavotte mit Double in D-Dur (4 ; S-C 2/8 u. 2/9) könnte theoretisch zur
zweiten Suite
gehören, aber weil sie nach der Gigue steht, dürfte sie
eher ein Einzelstück oder ein möglicher Ersatz für die
Bourree sein. Ihre rustikale Stimmung ist nicht ohne Anmut und
scheint wie ein Gegenpol zu den vielen ernsteren Stücken dieser
Musiksammlung. Wie bei der vorhergehenden Gavotte gibt es für mich
hier keinen Grund, sie als schwächere Komposition abzutun oder sie
für ein verkapptes Duo zu halten. Da sie im Manuskript keinen Titel
trägt, könnte man sie mit gleichem Recht als Angloise
bezeichnen, insbesondere wegen der im Vordergrund stehenden,
aufsteigenden Linie. Dieses Stück erscheint in keinem anderen
Manuskript.
Die folgenden vier Stücke in B-Dur sind die ersten vier Sätze
der Suite S-C 4. Diese Suite ist in Dresden mit einem anderen Prelude vollständig enthalten, im
Londoner Manuskript fehlen das Menuet und die Gavotte. Ich habe mich
deshalb dafü entschieden, die fehlenden Sätze bei meiner Aufnahme nicht mit
aufzunehmen, denn sonst hätte ich aus Platzgründen auf eines der
beiden Preludes verzichten müssen. Um dem Original möglichst
treu zu bleiben, habe ich die Reihenfolge der Londoner
Version nicht verändert. Wahrscheinlich wäre es im Nachhinein dennoch
besser gewesen, diese Teilsuite als Suite mitzuzählen und sie
gemeinsam mit den anderen Solosuiten aufzunehmen, trotz der vorher
erwähnten fehlenden Sätze. Das Prelude (5 ; Sm 27; S-C 4/1)
ist von stolzer Größe und Energie getragen, welche bereits auf die folgende Sätze vorverweist.
In der Tat ist die Ouverture (6 ; Sm 28; S-C 4/2) geprägt durch leuchtende, orchestrale Klangfarben im Stil
Händels und Telemanns mit dem Hauptthema in den Bässen, das
an den Klang eines Fagotts erinnert. Kennzeichnend ist die Tempoabfolge
Langsam - Schnell - Langsam, bei der das Allegro sich durch ein
lebhaftes Fugenthema auszeichnet. In der Dresdener Version finden sich
sowohl im Eingangsteil als auch im Allegro Wiederholungszeichen, was
erneut die Frage ihrer Bedeutung aufwirft: Es ist schwer, darauf eine schlüssige Antwort zu finden.
Die Courante (7 ; Sm 28; S-C 4/3)
beginnt ähnlich wie diejenige von
„Le Fameux Corsaire“,
allerdings verläuft die Melodie entgegengesetzt. In diesem Werk zeigt sich die
ganze Meisterschaft des Komponisten. Die thematische Ausgewogenheit
wird in keiner Weise durch die langen aufeinander folgenden Phrasen
beeinträchtigt. In der Tabulatur sind an manchen Stellen die Fingersätze
für die linke Hand deutlich markiert. Es bleibt zu bemerken, dass
vom Prelude an im Londoner Manuskript der zwölfte und dreizehnte Chor nicht
benutzt werden, so dass man davon ausgehen kann, dass diese Stücke
ursprünglich für ein elf-chöriges Instrument gedacht
waren. Aus Gründen eines sich deshalb anbietenden Klangfarbenwechsels und insbesondere
wegen der Courante und der Ouverture, habe ich mich dafür
entschieden, eine Standardlaute mit Knickhals und keine theorbierte
Laute zu verwenden. Denn die beiden genannten Stücke enthalten eine chromatische
Basslinie, die nur auf einer Standardlaute spielbar ist, welche bis zum
11. Chor gegriffen werden kann. Aus denselben Gründen musste ich
bei einigen Werken in den Ausgaben 4, 5 und 6 dieser Reihe auf ein solches
Instrument zurückgreifen. Ich möchte diese Werke hier kurz
nennen. Bei zweien davon (mit einem Sternchen gekennzeichnet)
hätte man die entsprechenden Passagen durch Oktavierung noch oben
umgehen können, ohne sie musikalisch zu sehr zu verändern.
Nun die Stücke im Einzelnen:
Ouverture Sm 27 (S-C 4/2) und Courante Sm 28 (S-C 4/2) in B-Dur,
Allemande* Sm 39 in c-moll aus (Suite S-C 7,
Allemande Sm 86 und Gigue Sm 91 in B-Dur aus Suite S-C 15,
Prelude* Sm 120 in d-moll ausSuite S-C 20
Allemande Sm 128 und Sarabande Sm 130 in f-moll aus
Suite S-C 21
und Fuge in G-Dur Sm 136 (aus Suite S-C 22).
Die Bourree (8 ; Sm 30, S-C 4/4) findet sich auch in einer vereinfachten Version im
Podebrady Manuskript. Die unterschiedlichen Schreibweisen des Titels
sind Bouree (London), Bourée (Dresden) und Burè
(Podebrady). Die Version von Dresden ist mit ihren
häufigeren Arpeggios und wiederholten Melodieteilen sehr verlockend, aber ich
habe der Versuchung widerstanden, die verschiedenen Versionen bei
meiner Aufnahme zu mischen. Meiner Meinung nach würde darunter der
Zusammenhang des Stückes leiden. Es ist auf jeden Fall besser, die
Version auszuwählen, die einem am meisten zusagt, und Verzierungen
an den geeigneten Stellen selbst anzubringen.
Das Allegro (9 ; Sm 29, S-C 1*) in G-Dur,
das sich zusammen mit der folgenden Courante
in derselben Tonart nur im Londoner Manuskript findet, steht zwischen
der Courante und der Bourree in B-Dur. Es scheint sicher, dass es hier
nur deshalb später eingefügt wurde, weil es auf die leere
Seite passte. Auf der Aufnahme haben wir deshalb die Reihenfolge der
Bourree in B-Dur und des Allegro getauscht. Beim Allegro stellt sich
unweigerlich die Frage, ob es möglicherweise von einem anderen
Komponisten stammt, obwohl sich in ihm manches findet, was für
Weiss typisch ist - Schreibweise und Fingersatz (man richte nur das
Augenmerk auf die melodischen Dialoge, die an die Gavotte von Suite S-C 27
erinnern). Man könnte das Stück sicherlich auch mit Paysanne
oder Gavotte angemessen überschreiben. Auf der anderen Seite ist
der häufige Gebrauch der beiden tiefsten Chöre bis dahin, dass sie klanglich ineinander verschwimmen, für Weiss
untypisch. Ist dieser Satz vielleicht das Werk eines seiner Schüer?
Eine weitere Unsicherheit bleibt bezüglich der Frage, ob sich dabei um ein Solowerk oder ein Duo handelt, was auch sehr plausibel sein könnte.
Bei der Courante Royale
(10 ; Sm 31, S-C 2*), die vom selben Kopisten eingetragen wurde, stellen
sich dieselben Fragen, allerdings in etwas entschärfter Form, weil
hier nur wenig Platz für die Ergänzung einer zweiten Stimme
bleibt. Wenn sie keine Komposition von Weiss ist, dann wurde sie sicher von
einem seiner Schüler komponiert, der bis ins Letzte die
idiomatischen Formeln seines Lehrers nachzuahmen suchte.
Tatsächlich verwendet dieses Stück nicht nur die Arpeggien,
sondern auch die Motive der Couranten von Suite S-C 11
und von „Le Fameux Corsaire“,
des Allegro Sm 141 von Suite S-C 22
und darüberhinaus ein Motiv aus dem Allegro Sm 246 von Suite S-C 35 (Dresden).
Die Bourree in d-moll (S-C 3*) habe ich ausgelassen, weil es sich dabei um dasselbe Stück wie die der neunten Solo-Suite (S-C 13) handelt. Es sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass sie ein wunderbares Beispiel für vom Komponisten selber ausgearbeitete Wiederholungen darstellt. Wenn wir weitergehen zum Prelude in Es-Dur (11 ; Sm 46; S-C 10/1), finden wir hier ein weiteres Stück, das nur in einer einzigen Version existiert. Es gehört eigentlich zur sechsten Solo-Suite, aber ich habe stattdessen ein anderes, kürzeres Prelude aufgenommen, das auf dem freien Platz der zweiten Seite eingefügt wurde. Der Grund für diese Entscheidung liegt darin, dass ich es vorzog, das ausgedehntere der beiden als Solo-Werk aufzunehmen und nicht umgekehrt. Am Ende des Stückes finden sich ebenfalls Wiederholungszeichen, obwohl es sich dabei um eine notierte Improvisation handelt. Mehr und mehr verdichtete sich der Eindruck, dass diese Zeichen etwas anderes bedeuten könnten. Der zärtliche Beginn wandelt sich mehr und mehr zu einer zuweilen furiosen ekstatischen Energie. Man fühlt gleichsam einen unsteten Geist, der doch zugleich voll Zuversicht ist. Man könnte meinen, dass sich darin gewissermaßen musikalisch die erste Begegnung zwischen Weiss und seiner Frau widerspiegelt, wie sie von Mapurg in seinem Buch mit pikanten Anekdoten musikalischer Berühmtheiten der damaligen Zeit geschildert wird. Leopold geht an einem schönen Sommerabend spazieren, als er vor sich eine weibliche Gestalt sieht, die ihn so in ihren Bann zieht, dass er sie mit beredten Worten überzeugt, ihn in den Park zu begleiten. Noch am selben Tag gelang ihm ein Treffen mit ihren Eltern, die angesichts dieser Überschwänglichkeit der Heirat zwischen Weiss und ihrer Tochter zustimmten. Die Geschichte endet - und das Prelude scheint diesen Schluss abzubilden - mit dem Satz „und die Folge daraus ware eine der vergnügtesten und glücklichsten Ehen“. Dieses Prelude erinnert an verschiedene Momente der neunten (S-C 13) und zwanzigsten (S-C 26) Solo-Suite.
Das Menuet in G-Dur (12 ; S-C 4*), ein
weiteres unbetiteltes Stück, das nur im Londoner Manuskript
existiert, scheint beim ersten Lesen die Fortsetzung der „Royal Courante“
zu sein. In ihm werden ebenfalls häufig in der Melodie unisone
Töne eingesetzt und außerdem ist es vom gleichen Kopisten
geschrieben worden. Man könnte es zunächst für eine
Courante halten, aber der häufige Gebrauch der Bässe und die
Betonung der Töne legt die Folgerung nahe, dass es es
höchstwahrscheinlich um ein Menuet handelt. Es wäre schwer
nachzuweisen, dass dieses Werk nicht von Weiss stammt, auch wenn einige
diesen Verdacht äußerten. Keine Überraschung hingegen
wäre, wenn es von diesem Stücke eine parallele Duo-Version
gäbe.
Die Fuge in C-Dur (13 ; S-C 6*) und die Fuge in
d-moll (14 ; S-C 7*) stellen zwei großartige, einzigartige
Momente im Londoner Manuskript dar. Sie finden sich nicht in anderen
Manuskripten. Beide sind perfekt ausgearbeitet und jede hat ihre
eigene, psychologische Aura. Die erste ergreift Besitz durch ihren
Ernst und die zweite ist charakterisiert durch eine dunkle,
wütende Energie. Die letztere Fuge erinnert stark an Bach, ein
ähnlicher Beginn findet sich auch in einer der Fugen des Kantors.
Wenzel Pichel (1741-1804) schrieb eine Fuge für Solo-Violine mit
demselben Thema (Ich möchte an dieser Stelle Tim Crawford und
Markus Lutz für diese und weitere Einblicke danken). Eine Variante
dieser Fuge in d-moll findet sich im Manuskript von Buenos Aires, aber
sie scheint von der Komposition her nicht ganz so strikt aufgebaut zu
sein, auch wenn sie denselben ästhetischen Wert besitzt. Bei der
Fuge in C-Dur (auch sie hat Wiederholungszeichen am Ende ?) ist der
kriegerische Rhythmus mit harmonischer Zartheit durchsetzt, wohingegen
die d-moll-Fuge in spannungsvollen, geschärften Harmonien
schwelgt. Die erste Fuge, die wegen der Lagenwechsel der linken Hand
technisch anspruchsvoller ist, wirkt leicht und luftig, während
die zweite dicht und schwer ist. Bei letzterer findet sich eine, und
zwar wirklich nur eine, Fingerbezeichnung für die rechte Hand. Der
Komponist verlangt ausdrücklich, - eine ergreifende Einzelheit, -
dass eine Note mit dem Mittelfinger gegriffen werden soll,
wahrscheinlich der bestmöglichen Klangfarbe wegen. Die Fuge in
d-moll beginnt in der Mitte einer Seite, die obere Hälfte ist
leer. Vermutlich hat Weiss den oberen Teil der Seite absichtlich
freigelassen, um später ein Prelude hinzuzufügen, aber diese
halbe Seite bleibt unvollendet für die Nachwelt.
„L’Amant Malheureux“
(15 ; S-C 8*) findet sich auch im Pariser Manuskript und hat andere
deutsche Komponisten wie zum Beispiel Pachelbel mit seinem L’Amant
Malcontent inspiriert. Diese Komposition stammt nicht von Weiss,
sondern vielmehr vom bedeutenden und einflussreichen Jacques Gallot und
war überschrieben mit Le Vieux Gallot (Manuskripte von Vaudry und
Saizenay). Seine Lebensdaten sind unbekannt, aber sein Tod fällt
wohl in etwa mit der Geburt von Weiss zusammen. Ein weiteres Beispiel
für den Einfluss von Gallot ist Psyché, ein anderes seiner
Meisterwerke, das an die Chaconne in g-moll von Weiss erinnert, ganz
abgesehen von einigen seiner Allemanden. Es ist faszinierend, hier
dieses Stück in einer Version von Weiss zu haben mit allen seinen
Varianten und vollständig verzierten Wiederholungen, was dem
Musiker diese Verantwortung einmal abnimmt. Das ist hier eine
große Erleichterung - man würde es wohl kaum wagen, nur eine
einzige Note oder feine Nuance an diesem himmlischen, heiligen und
mystischen Lied zu verändern. Die Eleganz von Gallot wurde kaum
modifiziert, aber durch das Können und den außerordentlichen Verstand von Weiss sozusagen vergrößert,
und das fast ein Jahrhundert nach der Komposition . Das ist eine
wahrhaft großartige künstlerische Zusammenarbeit, die die
Grenzen der Zeit überschreitet. Klangmalerisch werden zu Beginn
Tränen dargestellt, die nacheinander einzeln
fallen. Dann folgt die Verzweiflung, die den Geist durchdringt und
schließlich in heftigem Seufzen endet. Um diese symbolische
Wirkung zu erzeugen, wurden musikalisch insbesondere die Intervalle
Quint, Terz und Oktave ausgewählt. Diese Komposition ist ein
Meisterwerk ihrer Zeit, vielen besser bekannten „Hits“ aus jener Zeit
ebenbürtig. Die Version von Paris in g-moll, hält sich
korrekt und akribisch an das Original (stammt sie vielleicht von einem
jüngeren Silvius?), aber die Londoner Variante in a-moll mit ihren
ausgeschriebenen Wiederholungen ist von einer darüber
hinausgehenden, fast unbeschreiblichen Genialität.
Die Fantasie in c-moll (16 ; S-C 9*), eine singuläre Version die am Ende die Bemerkung „Weiss 1719 à Prague“ trägt, wurde in den 1960ern für Gitarre in e-moll veröffentlicht und von Julian Bream aufgenommen. Diese Aufnahme mit ihrer perfekten Legato-Interpretation der Fantasie, neben dem Tombeau für Logy und der Passacaile in D-Dur, war für viele die erste Begegnung mit dem Werk von Weiss. Es ist wahr, dass Segovia bereits vorher einige Stücke von Weiss im Konzert auf der Gitarre gespielt hat, - man darf seinen Einfluss sicherlich nicht vergessen, auch wenn er dazu fähig war, Pastiches von Manuel Ponce als Werke von Weiss auszugeben. (Er wollte sich offensichtlich nicht die Mühe machen, andere Originalwerke zu adaptieren, was zu seiner Aversion gegen die Laute passt). Ich erinnere mich daran, wie ich einmal die Fantasie auf der Gitarre spielte und am Ende jedes Taktes inne hielt, um mir vorzustellen, wie dieses Werk wohl auf einer Laute klänge. Die erste Hälfte, ohne Taktstriche, besteht aus einen fortschreitenden Fluss von brillant wogenden musikalischen Phrasen. Die zweite Hälfte, nun mit Taktstrichen, beginnt mit einem Fugenthema, das sich schnell ausweitet, bevor es plötzlich wieder zum Anfangsthema zurückkehrt und überraschend in die Schlussakkorde mündet.
Das Menuet in
B-Dur (17 ; S-C 10*), das ebenfalls nur in London vorkommt, trägt
keinen Titel, obwohl es vom Stil her klar als solches erkennbar ist.
Seine Leichtigkeit und Frische atmet den Geist des späten
achtzehnten Jahrhunderts. Wenn es im Londoner Manuskript ein Stück
von zweifelhafter Authentizität gibt, wäre es dieses. Es
erinnert an Mozart oder Haydn und ist von der Technik her ziemlich
anspruchslos. Dennoch verpflichtet uns dieses Stück, bei aller
Zweifelhaftigkeit seine wahrnehmbare Verwandschaft zu den kleinen
Menuetten von Bach einzugestehen, die in der selben Zeit komponiert
wurden. Nichts kann als gegeben vorausgesetzt werden.
Die Plainte
in B-Dur (18 ; S-C 15) trägt auch keinen Titel, stattdessen lesen
wir am Ende des Stücks: „Plainte de Monsieur Weis sur la
générosité de la grande Noblesse au cap de bonne
esspérance, en attendant la flottille d‘or de leur promesse:
composé le 11 janvier 1719“ (Plainte von Herrn Weiss über
die Großzügigkeit der großen Erlaucht am Kap der guten
Hoffnung in Erwartung der versprochenen Gold-Flottille: komponiert am
11. Januar 1719). Diese Empfindungen werden hörbar in der Musik,
die Enttäuschung mit ernster Meditation auf eine philosophische
Weise ohne jeden Groll verbindet. Weiss besuchte
Wien mit dem sächsischen Hof, der sich auf die Heirat des
Thronfolgers am 20. März vorbereitete. Man stellt sich die Frage,
welchen der beiden Höfe Weiss der ausstehenden Geldzahlungen
bezichtigte. Es ist eine Tatsache, dass der Wiener Hof ihn später
mit einem unglaublich hohen Gehalt ködern wollte. Die Plainte
steht direkt vor der zehnten Solosuite
in B-Dur (S-C 15). In Dresden ist sie mit Sarabande überschrieben
und gehört zur selben Suite. Ihr einzigartiges Flair wird von den
langen Vorhalten am Beginn der beiden Abschnitte erzeugt. Sie ergeben
sehr ungewöhnliche Harmonien, weil die Vorhalte lauter sind als
ihre jeweiligen Auflösungen.
Das „Tombeau sur la Mort de M: Cajetan Baron d‘Hartig arrivee la 25 de mars 1719.
Composée par Silvio Lepold Weis“
(19 ; S-C 11*) ist, wie das folgende zweite Tombeau einer der
Höhepunkte des Manuskripts. Es ist untertitelt mit Adagio assai
und die Tonart es-moll, bei der viele Bässe tiefer gestimmt sind,
passt fantastisch, auch wenn sie zur Zeit der Komposition etwas bizzar
(oder wenigsten ungewöhnlich) gefunden wurde. Es überrascht
nicht, dass Mattheson bei dieser Tonart keine Affektbeschreibung
beifügt, ja er geht sogar so weit, sie aus der Liste der Tonarten
auszuschließen. Er sagt von den Tonarten, die er nicht
beschreibt, dass ihre Effekte wenig bekannt und der Nachwelt
überlassen werden müssten, weil sie wenig benutzt werden. Bei
dieser Tonart werden äußerst schwierige Barree-Griffe in der
linken Hand benutzt. Ich habe hier die Bourdonsaiten ein paar Kommas
tiefer gestimmt, um ein dunkleres musikalisches Klima zu erhalten, das
nach der vorhergehenden Plainte etwas überrascht. Nach D.A. Smith
ist dieses Werk, das in keiner anderen Quelle überliefert wurde,
höchstwahrscheinlich eine Hommage an Graf Ludwig von Hartig,
Statthalter des Kaisers in Böhmen, der ein guter Musiker war. Er
hatte sein eigenes Orchester. Sogar noch mehr als in L‘Amant Malheureux,
in gleichem Maße wie Bach, liefert uns Weiss hier ein
musikalisches Szenario, das von detailierten symbolischen Inhalt
erfüllt ist. Die Anfangsakkorde erinnern an die Trompeten, die das
traurige Ereignis ankünden. Die folgenden Akkorde voll Schwere und
Lethargie lassen uns Krankheit spüren. Sie werden bald
überlagert von Harmoniefolgen, die an das Leben des
Dahingeschiedenen zu erinnern scheinen. Ein aufsteigendes drittes Motiv
erinnert an den aufrechten Charakter, den er Zeit seines Lebens
behielt, während die den ersten Teil abschließenden ernsten
Passagen uns an unsere Sterblichkeit und das Schicksal erinnern, dem
wir gewiss unterworfen sind. Der Beginn des zweiten Teiles deutet einen
sterbenden Atem an und die Akkorde mit Vorhalten über einem langen
Pedalton lassen das Vergehen der Zeit erahnen, das unser Schicksal
besiegelt. Das darauf folgende Donnern zeigt das Sich-Sträuben
angesichts des Todes und den letzten Kampf bis zur Erschöpfung
(der Akkord im ff ). Die
fallende Melodie danach deutet Resignation an. Stark abgehackte Akkorde
künden das Nahen des Todes und das Drama des Verlusts eines lieben
Menschen. Während sich dies vollendet, wird der Eindruck erweckt,
dass die letzten Herzschläge zu hören sind. Die Akkorde
mit Vorhalten des allerletzten Taktes lassen daran denken, dass mit dem
Aufhören des Rhythmuses das Leben aufhört zu sein. Die
verminderten Akkorde bilden den Zerfall des Körpers ab, der wieder
zu Asche wird. Schließlich kann man die aufsteigende Melodie ganz
am Ende verstehen als die Seele, die zum Himmel emporsteigt.
Die beredte Bourree in
C-Dur (20 ; S-C 12*) trägt ebenfalls keinen Titel. Sie erfordert
viel technisches Können. Auch sie kommt in keinem Manuskript als
dem von London vor. Das folgende Menuet ebenfalls
in C-Dur (21 ; S-C 13*), findet sich als Trio eines anderen Menuets im
Manuskript von Warschau. Harmonisch etwas dünn, scheint es
willentlich vereinfacht, als ob Weiss für seinen Sohn oder einen
Anfänger geschrieben hätte. Die Struktur legt den Gedanken an
ein Duo nahe, ohne dabei notwendigerweise auszuschließen, dass es
auch als Solostück einen gewissen Charme hat. Wieder einmal findet
sich hier das leicht erkennbare Thema „Hark! The Herald's Angels Sing“ kurz
nach dem Anfang des Stückes. Das Werk enthält eine voll
ornamentierte Wiederholung des ersten Teils am Fuß der Seite.
Übersetzung : Markus Lutz & Rainer Schmidt
Copyright © 1998-2006 Laurent
Duroselle, Markus Lutz
A partir du 22 Novembre 1998 les statistiques sont aussi suivies par
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